Pritzker-Preisträger Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal bekommen Zuschlag für Weiterentwicklung von Kampnagel
Kulturstaatsministerin Claudia Roth informiert sich im Rahmen ihres Antrittsbesuches in Hamburg über den Stand der Planungen
Das 2021 mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnete Architekturbüro Lacaton & Vassal von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal haben in einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) mit LV Baumanagement AG aus Hamburg den Zuschlag für dieSanierung und Erweiterung des internationalen Produktionszentrums Kampnagel erhalten. Damit wird erstmals in Deutschland zusammen mit dem international renommierten Architekturbüro ein Bauprojekt realisiert. Dieses Ergebnis einer europaweiten Ausschreibung haben heute Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Kultursenator Carsten Brosda gemeinsam im Rahmen des Antrittsbesuchs der Staatsministerin in Hamburg vorgestellt.
Ende 2019 hatte der Bund beschlossen, die Sanierung Kampnagels mit bis zu 60 Millionen Euro zu unterstützen, die in gleicher Höhe von der Stadt kofinanziert werden. Ziel der umfangreichen Modernisierung ist es, das internationale Produktionshaus, das Anfang der 1980er Jahre auf dem Gelände einer ehemaligen und heute denkmalgeschützten Kranfabrik entstanden ist, als weltweit renommiertes Zentrum für aktuelle Kunst unterschiedlicher Sparten auch architektonisch grundlegend weiterzuentwickeln. Die Sprinkenhof GmbH, die das Projekt im Rahmen des Mieter- Vermieter-Modells ausführen wird, hat für die Architekturleistung eine europaweite Ausschreibung durchgeführt, an der mehrere renommierte Büros teilgenommen haben. Den Zuschlag für die Umsetzung des Projektes hat die ARGE bestehend aus dem Pariser Architekturbüro Lacaton & Vassal und LV Baumanagement AG bekommen. Die Pritzker-Preisträger Lacaton & Vassal hatten bereits eine erste Konzeptstudie erstellt, die Grundlage der Ausschreibung war.
Die Modernisierung von Kampnagel ist eines der großen Projekte, mit denen Bund und Hamburg gemeinsam die Kultur in Hamburg ausbauen wollen. Weitere wichtige Projekte, über die sich die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth gemeinsam mit Kultursenator Carsten Brosda in Hamburg informiert hat, sind der Bau des neuen Deutschen Hafenmuseums, die Stärkung des Reeperbahn Festivals und die Aufarbeitung des Kolonialen Erbes mit der Rückgabe der Benin-Bronzen, die derzeit im MARKK zu sehen sind.
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Hamburg wird in den kommenden Jahren zusammen mit dem Bund zahlreiche große Projekte umsetzen, die die Kulturstadt auch im internationalen Vergleich weiter stärken werden. Dabei werden wir gemeinsam die kulturelle Infrastruktur ausbauen, wie mit dem Bau des Deutschen Hafenmuseum oder der Weiterentwicklung von Kampnagel. Wir wollen aber auch die Stimme der Kultur stärken, zum Beispiel durch eine vertiefte Zusammenarbeit beim Reeperbahn Festival und uns gemeinsam der Verantwortung aus unserer Geschichte stellen, wie bei der Aufarbeitung des kolonialen Erbes.
Ein wichtiges gemeinsames Projekt wird in den kommenden Jahren die Weiterentwicklung von Kampnagel sein. Kampnagel ist ein internationaler Ort der Kunst und der Begegnung. Die Sanierung unterstreicht diese Offenheit und Zugewandtheit des Hauses und schafft Zugänge, physisch, künstlerisch, gesellschaftlich. Es entstehen Räume der Begegnung und des gemeinsamen Austauschs über die gesellschaftlichen Themen mittels der Kraft der Kunst. Es gibt wohl weltweit nicht viele Architekten, die wie Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal so kreativ und sensibel mit der Seele dieses denkmalgeschützten Ortes der Kultur arbeiten können. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit den Pritzker-Preisträgern und auf deren Impulse für Kampnagel.“
Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien: „Hamburg ist ein Leuchtturm des gelebten Kulturföderalismus in Deutschland. Ihre kreative Vielfalt verdankt die Hansestadt auch der Kulturfabrik Kampnagel, die als Motor der Freien Kulturszene weit über Deutschland hinausstrahlt. Damit das Haus seine internationale Schubkraft künftig weiter ausbauen kann, unterstützt die Bundesregierung Kampnagel und das Bündnis der Produktionshäuser mit erheblichen Mitteln.“
Amelie Deuflhard, Intendantin Kampnagel: „Ich freue mich sehr, dass das internationale Büro Lacaton & Vassal den Zuschlag bekommen. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal arbeiten an bestehenden Gebäuden mit der Präzision von Archäologen und beschäftigen sich immer erstmal intensiv mit dem, was bereits da ist und mit der sozialen und kulturellen Verortung. Sie sie sind Expertinnen und Experten darin, das Potenzial von Bestehendem zu erkennen und es gleichzeitig in etwas Neues und Zeitgemäßes zu transformieren. Dabei gehen sie stets von den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer aus und schaffen Räume von größtmöglicher Flexibilität, Autonomie und Transparenz. Bei ihrem Konzept für Kampnagel hat genau diese Herangehensweise überzeugt: die Geschichte und gewachsene Struktur des Ortes zu berücksichtigen, ohne Fragen von Klima, Nachhaltigkeit, neuen Funktionen und Sichtlinien zu vernachlässigen. Eine derart umfangreiche Sanierung hat in kulturell umgenutzten Fabrikhallen in Europa bisher nicht stattgefunden. Die neue Architektur und der Nutzerinnen und Nutzer-orientierte Ansatz von Lacaton & Vassal verbinden sich in einzigartiger Weise mit den kuratorischen Visionen von Kampnagel. Ich bin deshalb überzeugt, dass Lacaton & Vassal im Einklang mit unserem Programm ein interdisziplinäres und innovatives Kunstzentrum der Zukunft gestalten werden“
Jan Zunke, Geschäftsführer Sprinkenhof GmbH: „Die Sanierung der städtischen Kultureinrichtungen ist erforderlich, um der Bedeutung der Einrichtungen für die Kulturmetropole Hamburg gerecht zu werden. Wir freuen uns daher, mit dem Ergebnis der Ausschreibung eine Arbeitsgemeinschaft ausgewählt zu haben, um die erforderlichen Schritte machen zu können, so dass eine langfristig angelegte und werterhaltende Bauunterhaltung und Bewirtschaftung von Kampnagel gewährleistet ist. Mit der Weiterentwicklung dieses Standortes ist sichergestellt, dass auch in Zukunft ein belebender und funktionierender Theater- und Produktionsbetrieb den Kulturstandort Hamburg bereichert. Mit der Auswahl dieses renommierten und erfahrenen Architekturbüros wird die Grundlage geschaffen, behutsam und mit Bedacht diese besondere Kultureinrichtung zukunftsfähig aufzustellen, ohne den Charakter dieses einzigartigen Ortes zu verlieren. Wir freuen uns bei diesem besonderen Vorhaben auf eine weiterhin gute und konstruktive Zusammenarbeit.“
Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal: „Kampnagel ist ein faszinierender Ort, ein Sinnbild für Hamburg und seine Beziehungen zur Welt. Es ist für uns eine große Motivation und eine große Freude, an diesem Projekt zu arbeiten. Das Theater hat dem Fabrikgelände, auf dem es entstanden ist, seinen Stempel aufgedrückt und seine Seele eingehaucht und dabei den industriellen Charakter des Ortes nicht überschrieben, sondern ihn sich zunutze gemacht. Wir wollen mit unserer Arbeit die von Produktion und Kreativität geprägte Atmosphäre und die ursprüngliche industrielle Identität des Ortes erhalten, aber ohne Nostalgie, sondern mit dem Ehrgeiz, das Theater für sein Programm und die Nutzerinnen und Nutzer zukunftsfähig zu gestalten. Dazu gehört auch, Anforderungen an Nachhaltigkeit, Umwelt und Energieeffizienz zu berücksichtigen, die unterschiedlichen Nutzungen und Architekturen weiterhin sichtbar zu machen und neue Räume in diesem Sinne mit einer zeitgenössischen Architektur hinzuzufügen, möglichst bei fortlaufendem Spielbetrieb.“
Was ist auf Kampnagel geplant?
Mit der Sanierung und Erweiterung der Gebäude und des Geländes von Kampnagel soll das internationale und interdisziplinäre künstlerische Profil des Hauses gefestigt werden. Die historischen Kampnagel-Hallen sollen stärker geöffnet und für einen flexiblen Spielbetrieb ausgestattet werden. Die Probenmöglichkeiten sollen deutlich verbessert und erweitert und eine Unterbringungsmöglichkeit für kurz- und längerfristige Aufenthalte von Künstlergruppen aller Genres geschaffen werden. Kassen, Foyers, Sanitäreinrichtungen und Restaurant sollen ebenfalls überarbeitet beziehungsweise neu platziert werden. Auch das Verwaltungsgebäude soll saniert und neu geordnet werden. Die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kampnagel sollen sich verbessern und die Ausstattung der Veranstaltungsflächen, unter anderem von Bühnen- und Haustechnik, an den heutigen internationalen Standard angepasst werden. Zudem ist geplant, Hallen, Garten und Osterbekkanal miteinander zu verbinden und für Besucherinnen und Besucher und in den Stadtteil zu öffnen. Dabei soll vor allem die Kampnagel-typische offene, rauhe und freie Atmosphäre erhalten und gestärkt werden.
Mit der Beauftragung der ARGE startet jetzt die Detailplanung. Die Umsetzung soll ab 2025 in mehreren Abschnitten erfolgen, sodass der Spielbetrieb durchgehend weiterlaufen kann.
Das Architekturbüro
Die Architekten Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal gehören nicht erst seit der Verleihung des Pritzker-Preises 2021 zu den international wichtigsten Vertreterinnen und Vertretern einer pragmatischen, sozialen Architektur, die sowohl die ökonomischen als auch die ökologischen Grundlagen des Bauens hinterfragt und die dabei außergewöhnliche Lösungen entwickeln. „Never demolish“ – „Niemals abreißen“: Diesem Kernsatz folgend, nähern sich Lacaton & Vassal ihren Projekten mit größter Wertschätzung und Präzision und entwickeln dabei überraschende, neue, nachhaltige und in ihrer Einfachheit spektakuläre Lösungen.
Von Ihnen wurde 2001 und 2012 das Palais de Tokyo in Paris mit einfachsten Mitteln in einen Ort der Freiheit für die Kunst verwandelt. Durch Umsetzung nur der absolut notwendigsten Veränderungen im nahezu auf den Rohbau zurückgefallenen ehemaligen Ort des Centre Pompidou gelang es Lacaton & Vassal, dem Gebäude eine vielschichtige Gelassenheit zu geben, die für dort ausstellende Künstlerinnen und Künstler (vor kurzem zum Beispiel Anne Immhof) einen höchst kreativen Raum lässt.
Einen Wohnblock mit 500 Wohnungen (Bordeaux, 2017) zu sanieren und dabei jede Wohnung um 20 Quadratmeter zu erweitern, ohne dass die Bewohner ausziehen müssen, ist ein Paradebeispiel für die Präzision mit der Lacaton & Vassal vorgehen.
Jean-Philippe Vassal beschreibt den Umgang mit dem Bestehenden: „Das Vorhandene hat einen Wert, wenn Sie sich die Zeit und Mühe nehmen, es sorgfältig zu betrachten. Tatsächlich ist es eine Frage der Beobachtung, sich einem Ort mit frischen Augen, Aufmerksamkeit und Präzision zu nähern … die Werte und die Mängel zu verstehen und zu sehen, wie wir die Situation ändern können, während wir alle Werte des Vorhandenen beibehalten.“ Quelle: https://www.pritzkerprize.com/laureates/anne-lacaton-and-jean-philippe-vassal